Bauen für Geborgenheit bedeutet, das wichtigste aller Wohnbedürfnisse in der Raumgestaltung umzusetzen.
Es gibt kein anderes Bedürfnis, dass so häufig genannt wird, wenn ich Einfamilienhäuser plane. Geborgenheit und Behaglichkeit sind die zwei grundlegenden Wohnbedürfnisse, weil es beim Wohnen genau darum geht. Wir wollen einen Ort gestalten, wo wir den Unbilden unserer Umwelt entfliehen können. Geborgenheit und Behaglichkeit hängen zusammen, sind ähnliche Bedürfnisse, aber doch nicht gleich. Hier wollen wir uns mit der Geborgenheit beschäftigen.
Geborgenheit als Erbe unserer Menschheitsgeschichte
Unsere Urinstinkte sagen uns, dass wir Geborgenheit brauchen. Wieso ist das so? Geborgenheit leitet sich ab vom Wort „bergen“, also in Sicherheit bringen. In frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte waren wir laufend von Gefahren umgeben. Der vielzitierte „Säbelzahntiger“ ist nur ein Beispiel dafür. Also haben diese frühen Menschen auch Orte gesucht, wo sie den Gefahren trotzen konnten und wo sie sich sicher fühlten. Die Suche nach diesen sicheren Orten begleitet uns daher als Erbe aus unserer Geschichte. Brauchen wir nicht mehr Obacht zu geben, dann können wir auch entspannen und damit entsteht Wohlgefühl.
Das Gefühl in Sicherheit zu sein und keine Gefahren fürchten zu müssen, ermöglicht uns erst eine Entspannung und Erholung, die wir für das Gesundbleiben dringend brauchen. Somit ist Geborgenheit ein wichtiger Gesundheitsfaktor.
Die Grundformel zum Bauen für Geborgenheit
Wir fühlen uns sicher und geborgen, wenn wir unsere Umgebung überblicken können, uns aber gleichzeitig in einem geschützten Raum befinden. „Sehen ohne gesehen zu werden“ – das ist die Grundformel für räumliche Geborgenheit. Mit dieser Grundformel können wir an jedem Platz, wo wir Geborgenheit wünschen, diese auch herstellen. Wir können sowohl das Sehen, als auch das Gesehen werden, fein abstimmen. Sowohl Ausblick als auch Blickschutz von außen, können in unterschiedlichem Ausmaß hergestellt werden. Es macht einen Unterschied, ob wir am Esstisch sitzen, am Schreibtisch, auf der Wohnzimmercouch, an einem individuellen Erholungsplatz oder auf der Terrasse. Bedürfnisorientierte Planung bedeutet, für jeden Platz festzulegen, wieviel Sehen und wieviel Gesehen werden hier optimal ist. Dazu gibt es eine grobe Orientierung, jedoch keine absolut fixen Regeln. Je privater ein Platz ist, umso mehr Blickschutz ist notwendig.
Beispiel Terrassenplatz
Nehmen wir als Beispiel den Sitzplatz auf der Terrasse. Wollen wir hier entspannen und erholen, also liegen und relaxen, dann ist es nicht sinnvoll, diesen Platz von Seiten der Nachbarn oder von Seite der Straße einsichtig zu gestalten. Doch welche Terrasse bietet diesen „Luxus“ für seine Nutzer. Dies geht über den Komfort weit hinaus und berührt wichtige Grundbedürfnisse. Berücksichtigen wir die Grundbedürfnisse des Wohnens nicht, dann werden Plätze kaum oder sehr eingeschränkt genutzt. Auf alle Fälle ist die Nutzung dann mit einem Gewissen Unbehagen verbunden. Wir aber wollen Plätze gestalten, wo wir uns so richtig wohl fühlen.
Wieso wird Geborgenheit beim Planen häufig nicht berücksichtigt?
Modernes Bauen und moderne Architektur setzen wir oft mit der Verwendung von viel Glas gleich. Damit maximieren wir das „Sehen“, aber auch das „Gesehen werden“ und verlieren so die Ausgewogenheit. Dies wirkt sich auf unser Geborgenheitsempfinden aus. Modern ist Transparenz und Offenheit. Und so wird auch gebaut. Dies kann an einzelnen Plätzen auch passen, wird in manchen Bereichen der Wohnung aber die Nutzung stark einschränken. Der Gefahr zu offen zu bauen, können wir ganz einfach entgehen, wenn wir uns für jeden Platz in der Wohnung fragen, wieviel Ausblick, Blickschutz und Geborgenheit wir hier wollen. Nur dann können wir den Platz so nutzen, wie es unseren Bedürfnissen entspricht. Von den Bedürfnissen ausgehend zu planen, schützt also vor Planungsfehlern. Was machen wir aber, wenn wir bereits in einer zu offenen Wohnung leben und uns hier nicht so ganz wohl fühlen.
Unser Tipp: Setzen Sie sich an diese Plätze, die Sie optimieren wollen, und spüren Sie in sich hinein. Stellen Sie sich die Frage nach dem „sehen ohne gesehen zu werden“ und auch die Frage, ob hier die richtigen Materialien und die richtigen Farben vorhanden sind. Aus diesem „in sich hinein spüren“ werden Sie grundlegende Möglichkeiten finden, diesen Platz zu optimieren.
Bauen für Geborgenheit
Der Verein „Bauen für Geborgenheit“ hat dieses menschliche Grundbedürfnis ins Zentrum gerückt und geht davon aus, dass Geborgenheit die Grundvoraussetzung für kindliche Entwicklung ist. Ohne Geborgenheit wird in uns die Angst dominieren, die uns dann hemmt. Wir können also mit der Art und Weise, wie wir beim Bauen und Gestalten Geborgenheit herstellen, auf grundlegende Entwicklungsmöglichkeiten Einfluss nehmen. Kinder, die Zuhause keine oder wenig Geborgenheit spüren, werden sich schlechter entfalten und damit wichtige Lernschritte des Lebens nicht machen.
Wie können wir räumliche Geborgenheit in unseren Räumen verbessern. Die Experten von „Bauen für Geborgenheit“ haben einige Möglichkeiten aufgezeigt:
- Wenn das Bett ein Raum im Raum wird, dann entsteht hier eine Schlafhöhle, die das Loslassen verbessert. Das Sicherheitsgefühl kann die Schlafqualität verbessern
- Durch Einbauten kann die Raumhöhe reduziert werden, was vor allem für Kinder oft zu mehr Geborgenheit führt
- Ein stabiler Esstisch mit einer gemütlichen Bank gibt das Gefühl, als Familie zusammen zu gehören und zusammen zu halten
- Eine umschließende Raumform gibt Schutz und weiche Materialien betonen die mütterlichen (also beschützenden) Qualitäten
Achten wir auf unsere Bedürfnisse
Die Grundlage all dieser Beschreibungen ist aber immer Folgendes: „Nur wenn wir unsere Räume so planen und gestalten, dass die grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sind, werden wir uns dauerhaft wohl fühlen.“ Nur dann wird einer aktiven Phase auch die Qualität des Loslassens, Entspannens und Erholens folgen können. Nur wenn wir unsere Bedürfnisse wichtiger erachten, als manche Modeerscheinungen, werden wir diese in der Raumgestaltung umsetzen können.
Geborgenheit brauchen wir umso mehr, je gebrechlicher oder schwächer wir sind. In der Kindheit oder im Alter ist dieses Bedürfnis daher von größerer Bedeutung als für Erwachsene, die mitten im Leben stehen. Mein Aufruf an die Planenden unter uns ist daher dieser:
„Gehen Sie nicht nur von den eigenen Bedürfnissen aus, sondern vor allem von den Bedürfnissen der Schwachen in unserer Gesellschaft. Nur dann werden wir menschengerecht bauen können!“
Geborgenheit auch im öffentlichen Raum
Bei Geborgenheit denken wir meist an das kuschelige Wohnzimmer oder unsere Lieblingsecke zum Lesen. Das Grundbedürfnis der Sicherheit ist jedoch stets präsent. Denken wir nur an Restaurants oder Cafehäuser, wo die meisten Menschen sich zuerst nach einem Eckplatz oder einer Nische umschauen, bevor sie einen Platz in der Raummitte auswählen. Gerade im öffentlichen Bereich ist es wichtig eine Grundsicherheit zu spüren.
Angsträume entschärfen
Die Prinzipien der Geborgenheit können wir auch angewenden, um sogenannte Angsträume zu entschärfen. Angsträume sind z.B. dunkle Tiefgaragen, wo man nicht sieht, wer hinter der nächsten Ecke lauert. Besonders problematisch ist es, wenn das täglich gebrauchte Treppenhaus wie ein Angstraum gestaltet ist – dunkel, düster und uneinsichtig. In diesen Räumen geht es weniger um das „nicht Gesehen werden“, sondern um das „Sehen“, also Überblick haben.
Sicher fühlen wir uns in solchen Räumen dann, wenn sie hell erleuchtet sind und wir einen Zufluchtsort erkennen können. Dies bedeutet, in einer Tiefgarage sollte man von jedem Platz aus den Ausgang sehen können. Dieses Wissen darüber, wohin man fliehen könnte, entschärft die Situation bereits deutlich.
Bauen für Geborgenheit – die Renaissance unserer Grundbedürfnisse
In einer Zeit, wo Transparenz und Offenheit nicht nur das gesellschaftliche Leben bestimmt, sondern auch das Bauen und die Architektur, brauchen wir dringend eine Renaissance der Geborgenheit, um der Vielschichtigkeit unserer Natur und unseres Bedürfnisses gerecht zu werden. Wir werden damit Plätze schaffen, die uns gut tun, die Erholung bieten und damit auch unserer Gesundheit dienen.
Geborgenheit entsteht durch konkrete Gestaltung. Hier können Sie ein pdf herunter laden, das Ihnen einen Überblick zu den Raumfaktoren von Geborgenheit gibt. Dort finden Sie Anregung für Ihre individuelle Raumgestaltung.
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